Der Mond ist schuld

Fussnote
Hubert Herkommer


Karl der Grosse hatte den Monaten deutsche Namen gegeben. So sollte der März Lenzmonat und der April Ostermonat heissen. In diesem Jahr mit seinem Ostersonntag am 31. März ist der Lenzmonat aber zugleich der Ostermonat. Das kann einen irritieren. Das höchste Fest der Christenheit verbindet man eher mit dem helleren und wärmeren April. Ostern im März erscheint uns als Sonderfall, und die Statistik gibt uns Recht: Von 100 Osterfesten fallen nur 23,2% in den März, hingegen 76,8% in den April. So hüpft der Ostersonntag seit eh und je zwischen dem 22. März und dem 25. April hysterisch hin und her, mit entsprechenden Folgen etwa für das 50 Tage spätere Pfingstfest, aber auch für die Fas(t)nacht und den Aschermittwoch, der 40 Tage vor Ostern die Fastenzeit eröffnet. Da benimmt sich doch das Weihnachtsfest geradezu zwanghaft diszipliniert und kommt alle Jahre am 25. Dezember wieder.
Schuld am unsteten Ostersonntagstermin ist der launische Mond mit seinem ewigen Phasenverlauf von Neumond, Halbmond, Vollmond, Halbmond, Neumond. In den sternklaren Nächten des Alten Orients war der Erdtrabant, einst als Gottheit verehrt, der ideale Orientierungspunkt. «Teiler der Zeit» nannten die Ägypter ihren Mondgott Thot, und auch das jüdische Weisheitsbuch Jesus Sirach preist diese unersetzliche Funktion des nächtlichen Lichtes am Himmelsgewölbe: «Der Mond führt die Zeiten herauf. Durch ihn werden Fristen und Festzeiten bestimmt.»
Am Tag des Frühlingsvollmondes feiern die Juden Pessach, die Erinnerung an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Die christliche Urgemeinde erfüllte ihr Pessach mit einem neuen theologischen Sinn: Das Fest der Erinnerung an die Errettung IsraeIs wurde um die Erinnerung an das Leiden und Sterben Christi erweitert. Daneben feierten die Christen auch die Erinnerung an die Auferstehung, die nach den biblischen Berichten auf den ersten Tag nach dem Sabbat fiel, also auf den Sonntag. Das auf den Frühlingsvollmond fallende, christlich umgedeutete Pessachfest folgte aber dem Rhythmus der jüdischen Festkultur und konnte daher im Unterschied zum sonntäglichen Auferstehungsfest an jedem Wochentag begangen werden.
Das allgemeine Konzil, das Kaiser Konstantin im Jahre 325 nach Nizäa einberief, setzte einen rigorosen Schlusspunkt unter die heftig entbrannten Auseinandersetzungen um den richtigen Ostertermin: Fortan sollte das Osterfest am Sonntag nach dem Frühlingsvollmond sein. Und nachdem das Konzil zugleich den (astronomisch eigentlich leicht variierenden) Frühlingsbeginn auf den 21. März festgelegt hatte, war das früheste Osterdatum der 22. März, dann nämlich, wenn an einem Samstag Frühlingsbeginn und Frühlingsvollmond zusammenfielen.

So weit, so gut. Doch zusätzlich vollzog das Konzil noch eine viel radikalere Trennung vom jüdischen Festkalender: Sollte zufällig einmal der Frühlingsvollmond, und damit womöglich das jüdische Pessachfest, auf einen Sonntag fallen, dann durfte Ostern erst am darauf folgenden Sonntag stattfinden. Nichtsahnend haben wir noch im letzten Jahr diesen alten Konzilsbeschluss befolgt, als am Sonntag, dem 8. April, Frühlingsvollmond war und die Juden an diesem Tag ihr Pessach begannen, das christliche Ostern aber erst eine Woche später gefeiert wurde.
Auf dieselbe konziliare Weise kommt auch der späteste Ostertermin zustande. Denn wenn der Vollmond auf den Tag vor den Frühlingsbeginn des 21. März fällt, gilt erst der darauf folgende Vollmond als Frühlingsvollmond. Dann schreiben wir bereits den 18. April. Ist dieser 18. April aber ein Vollmondsonntag, dann haben wir das Osterfest sieben Tage später, am 25. April.
Man stelle sich vor, die rigide Regel von Nizäa, nach der die Osterfeier nicht an einem Frühlingsvollmondsonntag sein darf, würde stillschweigend ausser Kraft gesetzt. Die Ostertafeln mit ihrem einbetonierten Antijudaismus stellten dann nicht mehr 35 verschiedene Ostertermine bereit, sondern nur noch deren 28. Das Osterfest des Jahres 2038 fände schon am 18. April statt. Und der Mond würde milde lächeln.

Hubert Herkommer ist Professor für
Deutsche Literatur des Mittelalters an
der Universität Bern.

 
H. Herkommer