Maskulin und feminin

Fussnote
Hubert Herkommer


Im biblischen Schöpfungsbericht steht es schwarz auf weiss: Der Mensch existiert in zweifacher Ausführung, in einer weiblichen und in einer männlichen Variante. Nach Martin Luther waren es «ein Männlein und Fräulein», die als göttliches Abbild im Garten Eden vorübergehend lustwandeln durften. Auch Noah erhielt den Auftrag, alle Tiere paarweise in die Arche mitzunehmen. Und so marschierten, krochen, flogen und schwammen sie in den Schiffsbauch, «je ein Paar, das Männlein und sein Fräulein»: der Löwe und die Löwin, der Elefant und die Elefantenkuh, die Giraffe in Begleitung, das Wildschwein und die Wildsau, die Graugans in Lebenspartnerschaft, der Enterich und die Ente, die Blindschleiche mit Partnerin, der Wiedehopf mit Gemahlin, die Meise mit Gefährtin, das Rotkehlchen mit Begleiterin, der Karpfen und die Forelle mit ihren Gesellinnen.
Wie immer man sich das vorsintflutliche Tierschutzprogramm auch vorstellen mag, eines liegt auf der Hand: Ungeachtet ihres natürlichen Geschlechts, verteilen sich Männchen und Weibchen unbefangen auf alle drei grammatischen Geschlechter, das Maskulinum, das Femininum und das Neutrum. Dass grammatisches und natürliches Geschlecht nicht ohne weiteres identisch seien, galt auch einmal für die Menschenwelt. Doch hat sich da seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einiges geändert: Weibliche Personen sollen sprachlich nur noch durch feminine Formen bezeichnet werden. Zu behaupten, es gäbe in der deutschen Sprache eine geschlechtsneutrale Verwendung des Maskulinums, erscheint einer wachsenden Mehrheit als patriarchalischer Schwindel. Und so setzt sich in unserer entsprechend sensibilisierten Gesellschaft allmählich ein neues Sprachgefühl durch. Konnte man früher arglos von «Bürgern», «Wählern», «Bewerbern» oder «Studenten» sprechen in der stillschweigenden Annahme, hier seien in gleicher Weise Männer und Frauen gemeint, so erheben sich bei solchen Bezeichnungen mittlerweile nur noch Männerkohorten vor dem inneren Auge. Und man traut schon seinen Ohren nicht mehr, wenn die Schwimmerin Franziska von Almsick von sich als «Schwimmer» spricht oder wenn die Geigerin Anne-Sophie Mutter sagt: «Ohne Interpreten kann der Komponist nicht leben, und ohne gute Kompositionen sind wir Interpreten natürlich auch aufgeschmissen.» Für den Druck hätten hier die zahllosen Leitfäden zur sprachlichen Gleichbehandlung «Komponistinnen und Komponisten», «Interpretinnen und Interpreten» oder, jetzt schon leicht veraltet und weiterhin unaussprechbar, «KomponistInnen» und «Interpret(inn)en» dringend empfohlen.

Auch die Universitäten wollen da mit gutem Beispiel vorangehen. Einst konnte in einem Reglement noch der Satz stehen: «Der zum Hauptverfahren zugelassene Bewerber reicht sein Habilitationsgesuch dem Dekan schriftlich ein.» Dieser untragbar gewordene Paragraph wurde jetzt durch folgende Formulierung ersetzt: «Der/Die zum Hauptverfahren zugelassene Bewerber/Bewerberin reicht sein/ihr Habilitationsgesuch dem Dekan oder der Dekanin schriftlich ein.» Weil aber inzwischen auch «Dozenten-, Assistenten- und Studentenschaft» für Hellhörige schon verdammt männlich klingt, mobilisierte man das geschlechtsneutral verwendbare Präsenspartizip und schuf die Bezeichnungen «Dozierenden-, Assistierenden- und Studierendenschaft». Dem Leitfaden der Zürcher Universität zufolge ist sogar ein Satz wie «Niemand darf aufgrund seiner politischen Überzeugung benachteiligt werden» problematisch und sollte ersetzt werden durch «Niemand darf aufgrund der politischen Überzeugung benachteiligt werden.» Origineller waren da die Berner Gemeinderätinnen, die ein Wohltätigkeitskonzert unter ihr «Matronat» stellten. Den Vogel hat aber einmal eine Hausordnung der Universität Bern abgeschossen, die auch das Verhalten bei Brandausbruch geschlechtergerecht geregelt sehen wollte: «Auf allen Ebenen der Treppenhäuser befinden sich HandfeuerlöscherInnen; sie sind im Brandfall sofort einzusetzen.»

Hubert Herkommer ist Professor für
Deutsche Literatur des Mittelalters an
der Universität Bern.

 
H. Herkommer