Krieg
liegt in der Luft
Fussnote
Hubert Herkommer
Jetzt
scharren sie wieder, jene vom menschheitsgeschichtlichen Dauereinsatz
ausgemergelten Pferde. Die vier apokalyptischen Reiter sind aufgesessen
und drauf und dran, ihnen die Sporen zu geben. Johannes, dem Empfänger
der Geheimen Offenbarung auf der Insel Patmos, hatten sie seinerzeit
einen Schrecken eingejagt, der weisse, der feuerrote, der schwarze und
der fahle Gaul. Ihr Auftrag war es, der Erde den Frieden zu nehmen,
damit die Menschen sich gegenseitig abschlachteten. Inzwischen können
die apokalyptischen Reiter Ozeane durchqueren und über Luftbrücken
dahinsausen, können Feuer spucken und sind allerorts einsatzbereit.
Kein Zweifel, Krieg liegt in der Luft.
Blenden wir zurück: Man schreibt den 29. Mai 1453. Die Türken
haben Konstantinopel eingenommen, das Zentrum der griechischen Christenheit.
Das tausendjährige byzantinische Reich ist untergegangen. Konstantinopel-Istanbul
wird nun zur Hauptstadt des osmanischen Reiches. Als die ersten Nachrichten
dieser Katastrophe ins Abendland gelangen, breitet sich im lateinischen
Westen das blanke Entsetzen aus. Von grässlichen Massakern und
Greueln ist die Rede. Die Zeitgenossen haben nicht den geringsten Zweifel
daran, dass die Endzeit angebrochen ist. Denn nun hat der rote Drache
des Johannes sein schreckliches Haupt erhoben: So steht es in der Bulle
des Papstes, der zum Kreuzzug gegen die Türken aufruft.
Unbeeindruckt von Feindbildern und Kriegsappellen, greift Kardinal Nikolaus
Cusanus, geboren zu Kues an der Mosel, noch im selben Jahr zur Feder
und verfasst die Schrift «Über den Frieden im Glauben».
Wenn wir den Angriff mit dem Schwert der Invasion wählten, schreibt
er einem Freund, müssten wir fürchten, dass wir auch durch
das Schwert umkämen. Von einer Gesandtschaftsreise nach Konstantinopel
kennt er persönlich den Glanz der ehrwürdigen Kaiserstadt.
Sein Anliegen kleidet er in die Vision einer Konferenz, die im Himmel
unter dem Vorsitz Gottes stattfindet. Dort haben sich siebzehn Weise
aus den verschiedensten Völkern versammelt – auch ein Araber
und ein Türke sind darunter –, um friedfertig über die
Vielfalt religiöser Glaubensinhalte zu diskutieren. Der Kardinal
ist davon überzeugt, dass alle Religionen einen einzigen Grundgedanken
zum Ausdruck bringen wollen, nämlich die eine Religion in der Mannigfaltigkeit
ihrer Gebräuche. Diese historisch gewachsene Vielfalt zu beseitigen,
erscheint ihm weder machbar noch wünschenswert. Die Hoffnung des
Friedenspolitikers gilt einer weltweiten Versöhnung unter den Religionen
und Kulturen, damit Schwert und Hass hinfällig werden.
Der hochgebildete Kirchenmann liefert in dunkler Zeit ein nachahmenswertes
Beispiel für eine vom Geist der Toleranz getragene, ganz und gar
unmilitärische Auseinandersetzung mit einem explosiven Fragenkreis.
Die moderne Kreuzzugsvokabel von der Achse des Bösen wäre
ihm zutiefst zuwider gewesen. Vielleicht verlassen unsere vier apokalyptischen
Reiter doch noch einmal die Bühne, auch der erste, von dem es bei
Johannes heisst: Als Sieger zog er aus, zu siegen. Man wünschte,
dass der Siegertyp sich selbst in jener Geschichte erkennen würde,
die einst Alexander dem Grossen widerfuhr. Als der König entrüstet
einen Seeräuber fragte, was ihm einfalle, dass er das Meer unsicher
mache, erwiderte dieser: Und was fällt dir ein, dass du die ganze
Welt unsicher machst? Freilich, weil ich es mit einem kleinen Schiff
tue, heisse ich Räuber. Du tust es mit einer grossen Flotte und
heisst Imperator.
Hubert Herkommer
ist Professor für
deutsche Literatur an der
Universität Bern.